Schweizerisch-türkische Beziehungen
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| Schweiz | Türkei |
Die Schweizerisch-türkischen Beziehungen sind das zwischenstaatliche Verhältnis der Schweizerischen Eidgenossenschaft mit der Republik Türkei. Die bilateralen Beziehungen sind im 21. Jahrhundert eng und vielfältig. Sie reichen bis auf frühe Kontakte mit dem Osmanischen Reich zurück und haben sich im Laufe des 20. Jahrhunderts erheblich vertieft. Heute zeichnen sie sich durch einen regelmässigen politischen Dialog auf hoher Ebene, intensive Wirtschaftsbeziehungen und eine grosse türkischstämmige Diaspora in der Schweiz aus. Letztere übernimmt eine wichtige Rolle als Brückenbauer zwischen beiden Ländern.
Geschichte
| ]Frühe Kontakte und Beziehungen zum Osmanischen Reich
| ]Einer der ersten dokumentierten Kontakte geht auf das Jahr 1581 zurück, als ein osmanischer Hofsekretär in einem Schreiben auf ein informelles Bündnisangebot aus der Eidgenossenschaft reagierte. In der Folge hielten sich vereinzelt Schweizer im Osmanischen Reich auf, etwa als Uhrmacher, Händler, Ärzte oder Missionare, doch besass die Schweiz bis ins späte 19. Jahrhundert keine eigene diplomatische Vertretung in Konstantinopel. Schweizer Staatsbürger nutzten stattdessen die konsularische Protektion anderer Mächte und profitierten von den sogenannten Kapitulationen, die Europäern im Osmanischen Reich rechtliche Sonderstellungen einräumten. Im 19. Jahrhundert nahm die Präsenz von Schweizern im Osmanischen Reich etwas zu, und es entstanden humanitäre Initiativen wie die Hülfsgesellschaft Helvetia in Konstantinopel (gegründet 1857) oder die Armenierhilfe um 1900. Gleichzeitig wurde die Schweiz zu einem wichtigen Exil- und Bildungsort für osmanische Oppositionelle, so studierten in Genf und Lausanne frühe Vertreter der Jungosmanen und Jungtürken, die von dort aus politisch agitierten. Späterer Kemalisten wie Şükrü Saracoğlu (später Ministerpräsident der Türkei) studierten in der Schweiz.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahmen auch offizielle Beziehungen Gestalt an: 1898 eröffnete das Osmanische Reich ein Konsulat in Genf, 1915 folgte die Ernennung eines Botschafters in Bern. Auf Schweizer Boden wurde schliesslich 1923 der Vertrag von Lausanne unterzeichnet, der die Grenzen der modernen Türkei festlegte und als „Geburtsurkunde“ der Republik Türkei gilt. Zu den Bestimmungen von Lausanne gehörte auch der Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei.
Beziehungen mit der Republik Türkei bis 1970er Jahre
| ]In den 1920er-Jahren wurden die bilateralen Beziehungen formalisiert und ausgebaut. 1925 überreichte Mehmet Münir Ertegün als erster Gesandter der neu gegründeten Republik Türkei in Bern sein Beglaubigungsschreiben; zugleich schlossen beide Staaten einen Freundschaftsvertrag ab, worauf 1930 ein Handels- sowie ein Niederlassungsabkommen folgte. 1928 eröffnete die Schweiz eine eigene Gesandtschaft in Istanbul, die 1937 nach Ankara verlegt wurde; ab 1957 wurde diese diplomatische Vertretung zur Botschaft aufgewertet. Bei der Modernisierung und Westernisierung der Türkei diente die Schweiz dem Staatsgründer Atatürk teilweise als Vorbild. 1926 übernahm die Türkei im Zuge der kemalistischen Reformen weite Teile des Schweizer Zivilgesetzbuchs und des Obligationenrechts, was eine enge rechtliche Verflechtung begründete. Auch bei der Modernisierung des türkischen Bildungswesens spielte die Schweiz in Form des Pädagogen Albert Malche als Reformexperte eine wichtige Rolle.
Während des Zweiten Weltkriegs blieben beide Länder neutral und hielten ihre Kontakte aufrecht – die Türkei versorgte die Schweiz sogar mit vertraulichen politischen Informationen über die Kriegslage. In der Nachkriegszeit intensivierten sich die Wirtschaftsbeziehungen allmählich: Schweizer Unternehmen engagierten sich in Bereichen wie Chemie, Finanzwesen, Maschinenbau und Tourismus in der Türkei, doch blieb das Handelsvolumen bis in die 1970er-Jahre vergleichsweise bescheiden. Ab den 1960er-Jahren kam es zudem zu ersten Arbeitsmigrationen aus der Türkei in die Schweiz. Ein Versuch, ähnlich wie Deutschland ein formelles Anwerbeabkommen abzuschliessen, scheiterte jedoch, sodass die Zuwanderung zunächst ungeordnet über private Netzwerke verlief.
Jüngere Entwicklung
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Seit den 1980er-Jahren wuchs die türkischstämmige Gemeinschaft in der Schweiz stark an. Politische Umbrüche und wirtschaftliche Krisen in der Türkei (etwa nach dem Militärputsch 1980) führten zu vermehrter Emigration: Die Zahl der Einwohner in der Schweiz mit Wurzeln in der Türkei stieg von wenigen Tausend in den 1960er-Jahren auf knapp 40’000 im Jahr 1980 und über 80’000 im Jahr 1990. Nachdem 1980 erneut Visumspflicht für Türken eingeführt worden war, erfolgte weitere Zuwanderung vor allem im Rahmen des Asylwesens und der Familienzusammenführung. 1993 kam es zu einer Krise in den bilateralen Beziehungen, nachdem türkisches Botschaftspersonal einen eindringenden PKK-Anhänger in der türkischen Botschaft in Bern erschossen hatten, woraufhin die Beziehungen auf Botschafterebene für ein Jahr unterbrochen blieben.
Die politischen Beziehungen blieben in den frühen 2000er-Jahren teilweise belastet, insbesondere im Hinblick auf die Menschenrechtslage (Kurdenkonflikt) und die historisch-politische Aufarbeitung des Völkermords an den Armeniern. Die offizielle Anerkennung der Massaker an den Armeniern als Genozid durch den Nationalrat und durch die Kantonsparlamente von Genf und Waadt im Jahr 2003 führte ebenso zu diplomatischen Verstimmungen mit Ankara wie kritische Äusserungen von Schweizer Politikern zur Kurdenproblematik. Ab 2008 setzte jedoch eine Entspannungsphase ein. Die Schweiz bemühte sich im Rahmen ihrer neuen Außenpolitik verstärkt um eine strategische Partnerschaft mit der aufstrebenden Regional- und Wirtschaftsmacht Türkei. 2008 kam es zum ersten Besuch eines Schweizer Bundespräsidenten in Ankara (Pascal Couchepin), und im November 2010 reiste mit Staatspräsident Abdullah Gül erstmals ein türkisches Staatsoberhaupt offiziell in die Schweiz.
Seither finden regelmässige politische Konsultationen statt, bei denen auf Staatssekretärsebene und in Arbeitsgruppen sensible Themen wie Sicherheit, Migration und Menschenrechte in einem kritisch-konstruktiven Dialog erörtert werden. Zudem spielte die Schweiz eine aktive Rolle als Vermittler: Im Oktober 2009 beherbergte Zürich die Unterzeichnung zweier Protokolle zur Normalisierung der Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien, welche unter schweizerischer Vermittlung zustande gekommen waren. Die wechselseitigen Besuche setzten sich fort – beispielsweise besuchte Aussenminister Ignazio Cassis im Juli 2019 Ankara, während sein türkischer Amtskollege Mevlüt Çavuşoğlu im August 2020 in Bern weilte. Im April 2025 würdigten beide Länder mit offiziellen Veranstaltungen das 100-Jahr-Jubiläum des Freundschaftsvertrags von 1925.
Wirtschaftsbeziehungen
| ]Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Türkei sind intensiv. Das bilaterale Handelsvolumen belief sich im Jahr 2024 auf rund 14 Milliarden Schweizer Franken, womit die Türkei zu den 25 wichtigsten Handelspartnern der Schweiz zählt. Die Schweiz gehörte damit zu den grössten ausländischen Investoren in der Türkei und rangierte 2024 an sechster Stelle. Umgekehrt gewinnt auch der Tourismus an Bedeutung: Allein 2024 besuchten über 400’000 Schweizerinnen und Schweizer als Touristen die Türkei und ca. 85’000 Türken besuchten im Gegenzug die Schweiz. Zur institutionellen Förderung der Wirtschaftsbeziehungen haben die Länder mehrere Abkommen abgeschlossen, darunter ein Investitionsschutz-Abkommen (1988) und ein Doppelbesteuerungsabkommen (2013). Ausserdem besteht seit 1991 ein Freihandelsabkommen zwischen der Türkei und der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), dem auch die Schweiz angehört; dieses Abkommen wurde umfassend modernisiert und trat in aktualisierter Form am 1. Oktober 2021 in Kraft.
Kultur und Migration
| ]Die Türkei und die Schweiz sind politisch und kulturell in vielfältiger Weise verflochten. Eine bedeutende Rolle spielt die Diaspora: Rund 140’000 Menschen mit Wurzeln in der Türkei leben in der Schweiz, was die gesellschaftlichen Kontakte fördert und kulturelle Brücken baut. Ein Teil dieser Türkeistämmigen gehört Minderheiten wie den türkischen Kurden oder den Aleviten an, welche vor der instabilen Lage in der Türkei der 1980er und 1990er Jahre fliehen mussten, was auch die Beziehungen beeinflusst hat. So thematisiert die Schweiz Menschenrechtsfragen direkt im bilateralen Dialog und unterstützt lokale Projekte zur Stärkung der Rechte von Minderheiten. Auch in der Türkei gibt es eine kleine Schweizer Diaspora mit knapp 5500 Angehörigen.
Im Bereich Bildung und Forschung bestehen Austauschprogramme; seit 1961 erhielten über 200 türkische Akademiker und Studierende ein Schweizer Exzellenz-Stipendium für Forschungs- und Studienaufenthalte in der Schweiz. Der Kulturaustausch wird von beiden Staaten aktiv gefördert. Schweizer Kulturinstitutionen organisieren in Ankara, Istanbul und anderen Städten regelmässig Kunstausstellungen, Konzerte, Filmfestivals und literarische Veranstaltungen, um den Dialog zwischen den Kulturschaffenden beider Länder zu stärken. Von besonderer Bedeutung ist die Zusammenarbeit im Kulturgüterschutz: Im November 2022 unterzeichneten die Regierungen beider Länder ein bilaterales Abkommen, das den illegalen Handel mit Kulturgut – insbesondere mit Artefakten vor 1500 n. Chr. – eindämmen und das kulturelle Erbe schützen soll.

Diplomatische Vertretungen
| ]- Die Schweiz hat eine Botschaft in Ankara und ein Generalkonsulat in Istanbul.
- Die Türkei hat eine Botschaft in Bern und Generalkonsulate in Zürich und Genf.
Weblinks
| ]Einzelnachweise
| ]- Türkei. Abgerufen am 26. Oktober 2025.
- Politische Beziehungen zwischen Türkiye und der Schweiz
- Marc Tribelhorn: Wie türkische Botschaftsangestellte 1993 in Bern einen kurdischen Demonstranten erschossen – und niemand dafür belangt wurde | NZZ. 18. Juni 2018, abgerufen am 26. Oktober 2025.
- 02.3069 Postulat Vaudroz Jean-Claude. Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern im Jahr 1915. In: Geschäftsdatenbank Curia Vista. Parlamentsdienste, abgerufen am 27. Oktober 2025 (mit Texten des Postulats und der Stellungnahme des Bundesrats sowie mit Link auf die Ratsdebatte).
- S. W. I. swissinfo.ch: Schweiz-Türkei: Vom Knatsch zur Liebesbeziehung. In: SWI swissinfo.ch. 19. November 2008, abgerufen am 26. Oktober 2025.
- Die strategische Partnerschaft der Schweiz mir der Türkei
- Bilaterale Beziehungen Schweiz–Türkei. Abgerufen am 26. Oktober 2025.
- Schweizerisch-türkische Beziehungen
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